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„Verliebt – verlobt – verheiratet“?
Ein Gespräch mit einem deutschen Schüler über kirgisische Hochzeitsbräuche
während eines Abendessens mit der kirgisischen Gastfamilie

Auch in Kirgisistan verlieben sich junge Menschen und wollen heiraten, wie überall in der Welt. Aber es ist anders als in Deutschland.

Über dieses Thema haben wir mit unserem Gastschüler Maxi gesprochen. Er war schon ein paar Tage hier und er hat gehört, dass meine Schwester schon verheiratet ist. Meine Schwester ist 21 Jahre alt.

Wir waren beim Abendessen…



Maxi: Wir heiraten in Deutschland später als deine Schwester, erst wenn wir mit der
Schule und dem Studium fertig sind und gut Geld verdienen können. Wir heiraten sogar nicht wenn wir verliebt ineinander sind. Erst wenn wir uns sicher sind, dass eine Hochzeit für uns gut ist und wenn wir immer einander verstehen können.
Das ist hier ganz anders, wie ich bei deiner Schwester sehe.

Vater: Wenn die Menschen sich verlieben, möchten sie natürlich heiraten. Sie sagen ihren Eltern, dass sie heiraten wollen. Wenn die Eltern einverstanden sind, bereiten sie eine Hochzeit vor. Aber wenn die Eltern sagen, dass das nicht gut ist, darf die Tochter nicht heiraten und dann suchen auch die Eltern manchmal den Mann für die Tochter.

Maxi: Warum müssen die Eltern einverstanden sein? Das ist doch nicht ihre Sache, wenn die Kinder verliebt sind.

Ich: Ja, aber manchmal bei uns wählen die Eltern eine Braut oder einen Bräutigam selbst ohne Zustimmung ihres Kindes. Viele Eltern sagen, dass sie besser wissen, was gut für ihr Kind ist. Ich finde das auch nicht gut.

Vater: Na ja. Bei uns ist das etwas anders. Unsere Mädchen dürfen schon sagen, wen sie heiraten möchten. Aber ich kontrolliere das schon. Und irgendwann müssen sie nun einmal heiraten. Auch wenn sie keinen Freund haben. Was würden denn sonst unsere Verwandten sagen?

Maxi: Verwandten? Aber es ist für uns dumm (Maxi wundert sich sehr), wenn man danach schaut, was die anderen sagen.
Ich habe auch gehört, dass sie interessante Traditionen bei der Hochzeit haben. Können sie etwas darüber erzählen?

Mutter: Ja! Natürlich. Wenn die Eltern der zukünftigen Ehefrau und des Bräutigams weit voneinander leben, dann schicken die Eltern des Bräutigams den Eltern der Braut ihren Sohn und die Heiratsvermittler.
Sie kaufen ihnen unbedingt Geschenke. Wenn die Eltern mit den Heiratsvermittlern einverstanden sind, nehmen sie ihre Geschenke. Und sie binden der zukünftigen Braut die Ohrringe um, dass die Brautwerbung erfolgreich war. Dann besprechen sie das ‚Kalyng’.

Maxi: Was bedeutet ‚Kalyng’?

Ich: ‚Kalyng’ ist ein Kaufpreis für die Ehefrau. Man muss nämlich die Braut von den Eltern loskaufen. Der Bräutigam muss den Eltern der Braut Geld oder andere Geschenke geben. Manchmal viele Tiere oder auch Lebensmittel.

Vater: Ja! Und dann bestimmen sie, wann die Hochzeit und die anderen Termine sein werden.

Maxi: Und wo ist dann die Hochzeit und was macht man da?

Vater: Die Hochzeit fängt im Haus der Braut an und endet im Haus des Bräutigams. Der Bräutigam fährt mit seinen Freunden zum Haus der Braut und alle Brautführer singen nacheinander, wenn sie sich dem Haus nähern. Darum währt das Lied eine Stunde.
Wenn die Tante der Braut „Kosch kelgile“, das heißt auf Deutsch „Herzlich willkommen“, sagt, kommt der junge Mann mit Freunden herein.
Dann sitzen sie um den ‚Dastarkon’. Auf das Tuch stellt die Tante der Braut verschiedenes Essen, Getränke und Süßigkeiten und Früchte.
Danach geben die Brautführer die ‚togus Tabak’. Das sind neun große Tabletts. Und früher hat man auf das neunte Tablett das ‚Kalyng’ gelegt.

Maxi: Und was ist mit den acht anderen Tabletts?

Mutter: Auf jedem liegen bei der Hochzeit spezielle Sachen. Auf einem Tablett gibt es Spielsachen für die Kinder, auf einem anderen liegen Schmucksachen für die jungen Mädchen. Auf einem Tablett legt man Sachen für die alten Frauen und so weiter.

Vater: Und auf dem neunten Tablett kann eben das Geld der Brautführer für die Braut liegen.
Nach dem Bewirten des Bräutigams und der Heiratsvermittler ziehen die Mutter und die Schwestern dem jungen Bräutigam neue Kleidung an. Alle sagen dem Bräutigam schöne Worte, Wünsche, dass die neue Kleidung lang dient. Und sie werfen das Geld in die Luft.
Während die Verwandten die Braut dazu vorbereiten mit dem zukünftigen Ehemann zu gehen, behindern die Tanten oder die Nachbarn der Braut das Fortgehen des jungen Mädchens. Sie verstecken zum Beispiel die Schuhe der Brautführer oder verstecken das Nummernschild des Autos. Das bedeutet, dass die Nachbarn unzufrieden sind, dass das Mädchen in ein fremdes Dorf heiratet.
Nachdem die Brautführer Geld oder Geschenke den Tanten und Nachbarn gegeben haben, geben sie die gestohlenen Sachen zurück.

Maxi: Bei uns gibt es ein bisschen ähnliche Sachen bei einer Hochzeit. Da ist es bei uns etwas ähnlich. Und jetzt kann ich mir denken, woher unsere komischen Hochzeitsspiele kommen.

Mutter: Bevor die Verwandten die Braut begleiten, fängt die Braut an zu weinen. Sie muss das immer machen, damit sie zeigt, dass sie ihre Eltern so sehr liebt und vermissen wird.
Dann ziehen die Eltern ihrer Tochter die kirgisische Kopfbedeckung für die Hochzeit, den ‚Schökülö’ an. Heutzutage machen das immer weniger Leute, vor allem in der Stadt.
Die Familie, die Nachbarn und Verwandten geben ihr den Segen und sprechen viele gute Abschiedswörter. Und dann begleiten sie das Mädchen aus dem Elternhaus.

Maxi: Und dann gehen sie also ins Haus des Mannes!? Was macht man dort?

Vater: Bevor die Braut ins Haus kommt, bestreuen die Verwandten des Bräutigams sie mit Süßigkeiten und mit Korn. Wenn sie die Türschwelle überschreitet, zieht ihre Schwiegermutter ihr ein weißes Kopftuch auf. Die Braut sitzt mit den Schwestern des Bräutigams hinter dem ‚Köschögö’, einem Vorhang. Wenn die Leute kommen, um die Braut zu sehen, steht sie auf und verneigt sich. Dann schenken die Leute ihr ihre Geschenke und sagen ihre gute Wünsche.
Wenn der Ritus der Eheschließung beendet ist, bestimmen die Eltern des Bräutigams ihr die neuen Mutter und Vater. Das müssen respektierte und gute Menschen aus der Familie des Mannes sein. Ihre wichtigste Verpflichtung ist es, immer für die junge Frau da zu sein, sie zu verteidigen und ihr helfen, wie die richtigen Eltern.
Nach der Hochzeit, das kann eine oder zwei Wochen später sein oder noch später, beginnen die Verwandten des Bräutigams mit der Tradition ‚Otko kirgisüü’. Das Ziel dieser Sitte ist, dass die Braut Mitglied dieser Familie wird und auch ihre eigenen Eltern und Verwandten besuchen kann ohne sich zu schämen.

Maxi: Also für mich sieht das so aus, als ob die Frauen hier gar nichts zu sagen haben. Die sind ja fast wie eine Sklavin. Bevor wir hier nach Kirgistan gekommen sind, haben wir von unseren Lehrer gehört, dass oft auch die jungen Frauen entführt werden von einem fremden Mann.

Vater: Na ja, aber nicht immer. Es gibt auch zwei Arten der Entführung: freiwillig und unfreiwillig - gezwungen.
Wenn ein Junge an hübsches Mädchen verliebt ist, aber das Mädchen ungemäß heiraten will, dann sagt der Mann seinen Freunden, dass sie ihm bei der Entführung helfen müssen. Nach der Entführung müssen die Eltern nämlich der Hochzeit zustimmen. Das kommt öfter vor, als die unfreiwillige Entführung.
Aber es gibt auch junge Männer, die ein Mädchen entführen, das sie nur vom sehen kennen und das Mädchen kennt den Jungen gar nicht. Manchmal müssen die jungen Männer einfach heiraten, weil die Eltern es verlangen. Diese, manchmal brutale, Handlung von Männern heiβt ‚Kys ala katchuu’.
Wenn das Mädchen entführt ist, dann lassen die Entführer das Mädchen eine Nacht in ihrem Haus, damit sie nicht mehr zu ihrem Elternhaus gehen kann. Es gibt auch andere Methoden, dass sie da bleiben soll. Zum Beispiel, auf der Türschwelle eine alte Frau liegen lassen oder Brot auf die Türschwelle legen. Über eine alte Frau oder über Brot darf man niemals drüber steigen, das ist eine große Sünde und Schande. Man setzt dem Mädchen auch gleich ein weißes Tuch auf, das heißt, dass sie nun eine Braut ist und heiraten muss.
Nach einem oder zwei Tag gehen die Heiratsvermittler zu den Eltern von dem Mädchen und sagen, dass ihre Tochter einverstanden ist eine Ehe weiter zu führen. Auch wenn das immer gelogen ist.
Es gibt so selten, dass die Eltern ihre Tochter zurück nach Hause holen. Die meisten Eltern lassen ihre Töchter bei denen, obwohl sie nicht bleiben wollen. Nach einer Entführung ins Elternhaus zu treten ist für die Familie eine große Schande. Auf dieser Weise soll das Mädchen unfreiwillig eine Familie gründen.

Maxi: Aber das doch schrecklich. Bei uns in Deutschland kommt dieser Junge ins Gefängnis, wenn er so etwas macht! Das Mädchen möchte doch gar nicht heiraten! Stellen sie sich das mal vor! Mein Gott, das ist für mich eine furchtbare Tradition. Und bleiben diese Frauen bei ihrem Mann, der sie entführt hat? Und wie fühlt sie sich dort?

Mutter: Nach der Hochzeit muss die Braut im Hause ihres Ehemanns leben. Die Eltern des Ehemanns wohnen auch zusammen, wenn er der kleinste Sohn in der Familie ist. Die Braut muss zu Hause alle Arbeit machen wie zum Beispiel: Haus aufräumen, Gerichte kochen, den Teig kneten und Brot backen, waschen, Geschirr spülen, Kühe melken usw. In manchen Familien ist die Braut eine ‚willkommene Sklavin’. Manche Mädchen dürfen nicht studieren oder arbeiten, um das Geld zu verdienen. Es wird ihnen verboten. Der Bräutigam muss für sie sorgen. Sie darf auch die Verwandten des Ehemanns nicht duzen sogar wenn sie sehr klein sind. Und die Verwandten auch nicht mit dem Namen ansprechen. Das heißt auf kirgisisch ‚Tergöö’. Das ist ein Sprachtabu. Die Braut muss auch sehr höflich sein und sie muss auch immer ein Kopftuch aufziehen.

Maxi: Ich bin echt froh, dass ich keine Frau bin und in Kirgistan geboren bin.

Nasgul Kanybekova (10. Klasse/Osch)
Dschumagul Adylbekova (10. Klasse/Osch)
Aisuluu Khamroeva (11. Klasse/Osch)

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